
Angewandte Physiologie in der Anästhesiologie und Intensivmedizin
Sie befinden sich hier:
Unser Interesse
Die Unterstützung oder der Ersatz physiologischer Organfunktionen, die im Rahmen einer Operation oder behandlungsbedürftigen Erkrankung auf der Intensivstation vorübergehend oder langfristig eingeschränkt sind, ist eine Kernaufgabe der ärztlichen Behandlung in der Anästhesiologie und Intensivmedizin. Wir widmen uns einigen häufigen Erkrankungen und Funktionsstörungen (z.B. ARDS, pulmonale Hypertonie, Schock) aus dem Bereich der Intensivmedizin und wollen deren Physiologie und Pathophysiologie für einen translationalen Wissenszuwachs erforschen. Dabei verwenden wir experimentell-wissenschaftliche Modelle und Methoden zur klinischen Validierung.


Die Lunge im Zentrum
Eines der am häufigsten angewandten Organunterstützungsverfahren in der Anästhesiologie und Intensivmedizin ist die maschinelle Beatmung – eine Mensch-Maschine-Interaktion. Trotz ihrer unverzichtbaren Wirksamkeit zur Unterstützung der Lungenfunktion kann eine maschinelle Beatmung die Struktur und Funktion der Lunge schädigen und noch weitere Organe beeinträchtigen. Kann ein Patient infolgedessen nach dem Ende der akuten Behandlung nicht mehr ohne die maschinelle Beatmung auskommen, sind oftmals Heimbeatmung (Langzeitbeatmung) und Pflegebedürftigkeit die Folge. Neben den eklatanten sozio-ökonomischen Auswirkungen schränkt eine Langzeitbeatmung folglich die umweltbezogene und gesundheitsbezogene Lebensqualität, die Selbstbestimmtheit und Autonomie des Patienten ein und steigert das Risiko, an Folgeerkrankungen zu versterben.
Forschungsstrategie
Unser strategisches Ziel ist es, die (patho-)physiologischen Auswirkungen einer maschinellen Beatmung sowie die Organinteraktionen zwischen der Lunge und anderen Organen in stärkerer Detailauflösung wissenschaftlich zu explorieren und translational für die Entwicklung neuer Strategien der Beatmung zu nutzen. Dadurch wollen wir dazu beitragen,
i) die aus der Mensch-Maschine-Interaktion resultierenden umweltbezogenen und inflammatorischen Stimuli sowie den dabei entstehenden oxidativen Stress zu vermindern,
ii) die Inzidenz des beatmungs-induzierten Lungenschadens zu verringern und
iii) Beatmungsstrategien zu entwickeln, die weniger unerwünschte Nebenwirkungen haben und seltener zu langfristiger Abhängigkeit von der Beatmung führen.
Aktuelle Forschungsprojekte
Unsere Forschungsprojekte fokussieren auf den Bereich der pulmonalen Physiologie und Pathophysiologie. Im Speziellen wollen wir die mit einer maschinellen Beatmung einhergehende inflammatorische und oxidative Stressantwort in der Lunge und in entfernten Organen (z.B. Organ-Cross-Talk) entschlüsseln. Dabei geht es auch um die Auswirkungen von Beatmung auf neuronale Mechanismen und die zerebrale Funktion (Lung-Brain-Cross-Talk). Wir verfolgen dabei einen Ansatz, der systemische Interaktionen eines lokalen Stimulus (Beatmung) mit Bezug auf neurologische Konsequenzen, das Proteinmuster in lokalen und entfernten Geweben, sowie weitere systemische Effekte (Organ-Cross-Talk) einbezieht.
I. Experimentelle Modelle des schweren akuten Lungenversagens: Beatmungs-induzierter Lungenschaden

a) Mechanismen der Entstehung von oxidativem Stress
Wir entwickeln experimentelle Strategien zur Verminderung der oxidativen Stressantwort beim beatmungsinduzierten Lungenschaden. Diese Strategien beinhalten z.B. die potentiellen anti-inflammatorischen Effekte sulfid-haltiger Verbindungen wie Natriumsulfid-Lösung (Na2S) und gasförmiges Hydrogensulfid. In einem experimentellen Modell des beatmungsinduzierten Lungenschadens konnten wir zeigen, dass eine kontinuierliche Inhalation einer hohen Konzentration an Hydrogensulfid-Gas während Beatmung mit einem hohen Tidalvolumen die pulmonale Expression leukozytärer Adhäsionsmoleküle sowie Chemokine verstärkt, die Entstehung eines Lungenödems beschleunigt und den entstehenden Lungenschaden aggraviert. Eine systemische intravasale Verabreichung von Natriumsulfid identifizierten wir hingegen als eine neuartige, therapeutisch nutzbare Strategie, um den oxidativen Stress beim beatmungsinduzierten Lungenschaden zu vermindern. Es kommt dadurch zu einer Steigerung der antioxidativen Genexpression und zu einer geringeren Ausprägung des Lungenschadens. Daran anknüpfend, gilt es nun
a) die pulmonalen und extrapulmonalen Mechanismen zu identifizieren, die dem protektiven Effekt von Na2S zu Grunde liegen, b) auf Grund der bekannten toxischen Eigenschaften der Sulfide alternative Wege und Substanzen zu testen, die ebenfalls antioxidative Signalketten stimulieren, aber mit einer geringeren Toxizität einhergehen. Dabei betrachten wir ebenfalls die Aspekte der Organinteraktion zwischen Lunge und Gehirn und anderen Organen. Die Entität der beatmungsinduzierten neurokognitiven Defizienz könnte ebenfalls auf einer lokalen, zerebralen Inflammationsreaktion, die durch antioxidative Genexpression beeinflussbar ist, beruhen.

b) Mechanisms of Pulmonary Mechanosensing
We explore in more detail the mechanisms by which mechanical ventilation triggers vagal signaling, in order to find treatments aimed to dampen it and to ameliorate the neurobehavioral disorders associated with mechanical ventilation. Our previous work suggested that positive pressures applied to the lung are not just injurious to the lung, but also to specific brain areas like the hippocampus. Here we propose to manipulate mechano-gated ion channels via pharmacological interventions to evaluate their therapeutic effectiveness over the previously defined ventilator induced brain injury pathway. We also ask whether other pathways aimed to enhance dopamine release are activated due to lung damage. We propose to investigate if Nrg-1/ErbB4 signaling is also an important mechanism by which mechanical ventilation triggers dopamine release into the hippocampus. Moreover, the use of high throughput techniques to analyze gene expression alterations into the hippocampus during mechanical ventilation will allow us to improve the molecular characterization of the pathology. The potential value of these findings would be of major importance for the outcome of patients admitted to intensive care units, helping to reduce their mortality, long-term cognitive disorders after hospital discharge, and hospital and extrahospital costs. The multidisciplinary nature of the research group, which includes basic and clinical researchers, gives us an excellent opportunity to address the challenge of the proposed model. From collection of samples and clinical data from critically ill patients to discussing the results of biochemical techniques, the combination of different professional backgrounds will give an added value to the scientific discussion.

c) Blood transfusions and ventilator-induced lung injury
Our work is focussed on the combined adverse effects of ventilator-induced lung injury (VILI) and blood transfusions. Recentlly, we demonstrated that increased plasma concentrations of cell-free hemoglobin and heme after transfusion of stored packed red blood cells (SRBCs) potentiate a primary injury induced by prolonged hypotension. Currently, we explore in more detail the mechanisms by which cell-free hemoglobin and transfusion of SRBCs might aggravate VILI. Since blood transfusions, hemolysis and VILI can all be found in intensive care unit patients quite frequently, we propose that increased plasma concentrations of cell-free hemoglobin accelerate the development and increase the severity of VILI while both can be attenuated by therapy with hemoglobin and heme scavengers haptoglobin or hemopexin. Furthermore, we evaluate the effects of transfusions of SRBCs on the development and aggravation of VILI including protective effects of haptoglobin and hemopexin.

d) Mechanisms of Lymphagiogenesis in the Ventilated Lung
A functional lymphatic system is crucial for the resolution of edema and clearance of inflammatory cytokines at the site of infection and inflammation. Drainage of the lymph flowing through minute vessels toward the lymph nodes and antigen presentation to lymphatic cells within lymph nodes also plays a role for the activation of adaptive immune responses.
Through these mechanisms, lymphangiogenic responses which are stimulated by inflammation guide tissue repair and resolution of inflammation. Conditions of chronic inflammation often underlie ineffective lymphangiogenesis. Our interest is to characterize the lymphatic system, the mechanisms of lymphagiogenesis and its dynamics in a murine model of lung inflammation from ventilator induced lung injury.
Deciphering lymphangiogenic responses in ventilator induced lung injury may reveal new mechanisms of lymphangiogenesis and resolution of inflammation, and therefore may help to elaborate pharmacologic therapies to prevent and treat ventilator induced lung injury and pulmonary inflammation.
II. NO-Nitrit-Stoffwechsel: Mechanismen und Effekte auf die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion und das akute Lungenversagen in vivo

Die einfachen Anionensalze Nitrit (NO2-) und Nitrat (NO3-) sind während der letzten Dekade als endogene Stickstoffmonoxid (NO)-Quellen identifiziert worden und stellen einen wichtigen physiologischen Speicherpool für NO dar. In experimentellen Studien (Ischämie-Reperfusionsschäden systemischer Organe) vermittelt Nitrit via Reduktion zu Stickstoffmonoxid hoch potente zytoprotektive Effekte. Bis heute liegen nur wenige Daten zum Einfluss von Nitrit auf den experimentell induzierten Lungenschaden vor. Daher untersuchen wir, ob Nitrit das Ausmaß des akuten respiratorischen Lungenversagens (ARDS, Surfactant-Lavage Modell) reduziert, um die unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen beteiligten Signalwege zu identifizieren.
III. Automatisierung der Beatmung

In Deutschland werden jährlich mehr als 16 Mio. Patienten mit einem Beatmungsgerät künstlich beatmet – zum Beispiel bei Operationen oder auf der Intensivstation. Wenn durch die Entstehung eines beatmungs-induzierten Lungenschadens die Struktur und Funktion der Lungen und die Funktion weiterer Organe beeinträchtigt ist, können für Patienten langfristige Pflegebedürftigkeit, Langzeitbeatmung, eingeschränkte Lebensqualität und Verlust der Selbstbestimmtheit resultieren.
Für Patienten mit ARDS stellt daher eine sog. lungenprotektive Beatmung mit niedrigem Tidalvolumen und adäquatem PEEP einen Überlebensvorteil dar (ARDS-Netzwerkstudie: Ventilation with lower tidal volumes as compared with traditional tidal volumes for acute lung injury and the acute respiratory distress syndrome. The Acute Respiratory Distress Syndrome Network. The New England Journal of Medicine 2000;342:1301-1308).
In einem Kooperationsprojekt der AIF – Forschungsnetzwerk Mittelstand, der ZIM – Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand, und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, BMWi, zeigen wir Wege auf, die Beatmung weitgehend zu automatisieren. Dafür entwickeln wir sog. Closed-loop Feedback-Algorithmen. Im Rahmen der Verbundforschung mit kleinen mittelständischen Unternehmen (KMU) haben wir vor, weitere technische Lösungen zur automatisierten Sicherstellung einer lungenprotektiven Beatmung zu entwickeln, die bei jedem Patienten in allen Sektoren des Gesundheitswesens eine lungenprotektive Beatmung ermöglicht. Eine technische, apparative Lösung zur flächendeckende Anwendung lungenprotektiver Beatmung durch Automatisierung lässt eine verminderte Rate an Heimbeatmungen, eine geringere Sterblichkeit und eine verbesserte Lebensqualität betroffener Patientengruppen erwarten.
Mitglieder der Arbeitsgruppe
Leitung: Dr. med. Philipp A. Pickerodt
Ärzte: Dr. med. Philipp Lother, Dr. med. Martin Ruß, Prof. Dr. B. Lachmann, Dr. med. Mahdi Taher, Dr. med. Lilly Veskemaa
Technische Mitarbeiter: Birgit Brandt, MTA
Forschungsförderung
Charité BIH – Berliner Institut für Gesundheitsforschung: Clinician Scientist Program (1x)
Deutsche Forschungsgemeinschaft Sachbeihilfen (4x)
DFG Forschungsstipendien (2x)
AiF/ZIM, BMWi(1x)
BMBF (1x, in Begutachtung)